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INTERVIEW

„Warum muss immer
alles perfekt sein?“

Die Schmuckstücke von Designerin Rosh Mahtani sind inspiriert vom
italienischen Dichter Dante Alighieri und ihrer Kindheit in Sambia.
Heute setzt sich die Britin mit ihrem Label Alighieri besonders für
eine nachhaltige und lokale Produktion ein. Ein Interview über Luxus,
Nachhaltigkeit und den Mut zur Unvollkommenheit.

Fotos: Klara Waldberg, Rosh Mahtani, IanDagnall Computing, MediaPunch Inc,
Washington Imaging, Granger Historical Picture Archive, TCD/Prod.DB

Liebe Rosh, du warst letztes Jahr beim Hyundai Re:Style- Projekt dabei und hast Schmuckstücke aus Abfällen der Autoindustrie geschaffen. Was hast du aus diesem Projekt für dich mitgenommen?

Das gesamte Projekt war sehr inspirierend, weil es mich an meine Wurzeln und an meine Kindheit erinnert hat. Ich habe weder Design studiert noch hatte ich Erfahrungen in diesem Bereich, bevor ich mein Label gegründet habe. Aber ich hatte schon immer eine große Leidenschaft für besondere Objekte, die andere Menschen nicht haben möchten oder sogar als Abfall bezeichnen würden. Diese Eigenart geht zurück auf meine Kindheit, die ich in Sambia verbracht habe. Es gab dort nicht viel zu tun und ich bin die meiste Zeit durch die Gegend gestreift und habe nach interessanten Gegenständen gesucht. Das Re:Style-Projekt hat diese Erinnerung in mir neu entfacht und mich in meine Kindheit zurückversetzt.

Hat dich deine Kindheit in Sambia bis heute geprägt?

Ich bin in London geboren, aber dann mit meiner Mutter zu meinem Vater zurück nach Sambia gezogen und habe dort acht Jahre gelebt. Und es hat mich sehr geprägt. Bis heute fühle ich mich noch so, als würde ich ein Stückchen Afrika in mir tragen. Das Dorf, in dem wir gelebt haben, war sehr klein, die Natur war weit und karg, es gab keine Infrastruktur und nur einen einzigen Supermarkt. Wenn ich dort zum Beispiel eine Cola gekauft habe, musste ich die Glasflasche zurückbringen, damit sie wieder aufgefüllt wird. Ist das nicht interessant? Heutzutage diskutieren wir sehr viel über Nachhaltigkeit. Dabei war es genau das, was wir früher gemacht haben, als wir noch keine Ressourcen zur Verschwendung übrig hatten – wir haben ganz automatisch recycelt.

Schmuckstücke von Rosh Mathani

Rosh Mahtani

Die 33-jährige Britin mit sambischen Wurzeln hat an der Oxford Universität
französische und italienische Literatur studiert. 2014 gründete sie ihr Schmucklabel Alighieri,
das heute für poetische Talismane aus nachhaltiger und lokaler Produktion steht.

Das hat sicherlich auch erfinderisch gemacht.

Ja, sehr! Ich musste früh lernen, kreativ und imaginativ zu sein, wenn ich etwas haben wollte. Ich hatte eine enorme Steinesammlung, die mir unglaublich viel bedeutet hat. Ich habe die Steine katalogisiert und regelrecht studiert. Ich habe auch meine eigenen Notizbücher gebastelt und verziert. Ich war eine kleine Entdeckerin, immer auf der Suche nach neuen Dingen.

Wie bringst du diese Eindrücke von damals heute in dein Label Alighieri ein?

Mein Ethos heute ist, den Menschen in den Fokus zu rücken. Und ich möchte meine Schmuckstücke dafür nutzen, Geschichten über Menschen zu erzählen. Das Besondere an Schmuck ist, dass es schon immer Erbstücke gab, die von Generation zu Generation vermacht wurden. Eigentlich ist ohnehin jedes Schmuckstück recycelt, weil kein Metall und kein Edelstein der Welt wirklich neu sind, sondern nur zu etwas Neuem geformt werden. Ich wünsche mir, dass meine Schmückstücke so geliebt werden, wie man den Ring seiner Großmutter liebt, und auch an die nächste Generation weitergegeben werden.

Das hat viel mit der Wertschätzung von Dingen zu tun.

Ja, je mehr du über dein Schmuckstück weißt, zum Beispiel, wie es hergestellt wurde und von wem, desto mehr kümmerst du dich auch darum. Und je länger das Schmuckstück getragen wird, desto nachhaltiger ist es. Es ist ein sehr wertschätzender Kreislauf.

Wie setzt du diese Philosophie in der Herstellung der Schmuckstücke um?

Wir produzieren all unseren Schmuck lokal in den sechs Straßen rund um unser Studio in Hatton Garden im Herzen von London. Jedes Stück wird von einem traditionsreichen Familienunternehmen vor Ort gegossen und plattiert. Für mich ist es besonders wichtig, das lokale Handwerk vor Ort zu unterstützen und diese traditionellen Berufe damit auch zu erhalten. Für unsere Produktion ergeben sich dadurch nur Vorteile: Wir sparen uns lange Transportwege und kennen jede Person, die an unseren Schmuckstücken arbeitet, höchstpersönlich. Außerdem produzieren wir praktisch ohne Abfälle: Alle Reste, die nach dem Gießen eines Schmuckstücks übrig bleiben, wandern zurück in den Rohstoffmix und werden am nächsten Tag wiederverwendet. Übrig gebliebene Einzelstücke wie Perlen oder andere Verzierungen werden gesammelt und dann für besondere Unikate aus unserem Atelier genutzt.

Schmuckstücke von Rosh Mathani
Schmückstücke von Rosh Mathani

Ist Nachhaltigkeit eine neue Form von Luxus?

Die Frage ist doch, wie wir als Gesellschaft Luxus definieren. Für mich ist ein luxuriöser Gegenstand etwas, das von Hand mit viel Liebe zum Detail gefertigt wurde und das ewig hält. Dieser Gegenstand ist dann nicht nur ein teures Ding, sondern hat Charakter. Lange Zeit hat die Luxusindustrie Luxus als eine Idee von etwas Unerreichbarem verkauft. Es ging um eine perfektionierte Version deiner selbst, die du nie erreichen konntest. Die neuen Generationen haben heute darauf keine Lust mehr und stellen unangenehme Fragen. Warum müssen alle Menschen gleich aussehen, warum muss alles immer perfekt sein? Sie wollen keine Perfektion mehr, sondern sich in ihrer Vielfalt repräsentiert sehen.

Diese Faszination für die Unvollkommenheit hat dich auch zu deinem eigenen Label inspiriert. Du hast es Alighieri genannt, nach dem großen italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri. Wieso?

Die Göttliche Komödie beginnt mit Dante, der allein und verlassen im Selva Obscura, dem dunklen Wald, erwacht und nicht weiß, wo er hingehört. Er fühlt sich, als wäre er nicht gut genug, und zweifelt an sich. Mir ist diese Erzählung auf Anhieb sehr nahegegangen, weil sie so ehrlich und echt anmutet. Jeder weiß doch, wie es ist, wenn man sich einfach schlecht und ungenügend fühlt. Das Ding ist nur, wir müssen auch dazu stehen. Genau das möchte ich vermitteln: Es ist okay, nicht perfekt zu sein, und es ist auch okay, seine Verletzlichkeit zu zeigen.

Hast du ein Lieblingsstück?

Das Löwen-Medaillon zum Beispiel, das ich selbst auch immer trage. Es ist inspiriert von dem Moment, in dem Dante in der Hölle ankommt und plötzlich ein Löwe erscheint. Dante ist voller Furcht, bis sein Wegweiser Virgil auftaucht und ihm Mut und Stärke zuspricht. Dieses Medaillon ist meine Erinnerung daran, stark und mutig zu bleiben. Es ist meine Ode an die Imperfektion.

Rosh Mathani

Für mich ist ein luxuriöser Gegenstand etwas, das von Hand mit viel Liebe zum Detail gefertigt wurde und das ewig hält.

Rosh Mahtani, Gründerin des Schmucklabels Alighieri

Was inspiriert dich sonst noch, neben deiner Liebe zur Literatur?

Fotografie hat mich immer sehr beeinflusst. Ich schieße immer noch alle Kampagnen von Alighieri selbst. Die Welt durch eine Linse zu erkunden, zu reisen und andere Kulturen kennenzulernen, das ist eine große Passion und für mich auch eine Form der Kommunikation. Schmuck ist übrigens auch eine Art universelle Sprache – in jedem Land, das ich bisher bereist habe, gab es Leute, die Schmuck genutzt haben, um sich selbst, ihre Emotionen oder ihre Kultur damit auszudrücken. Das ist doch wundervoll.

Was treibt dich an, wenn du an die Zukunft denkst?

Ich möchte weiterhin Geschichten erzählen und die Geschichten der Menschen um mich herum erfahren. Das hat mich schon immer angetrieben. Und ich möchte mein Label Alighieri weiter dafür nutzen, Menschen zusammenzubringen und eine große Community aufzubauen, so etwas wie eine weltweite, inklusive Gang – in der jeder auch mal einen schlechten Tag haben kann. Das gehört einfach dazu.

Schmuckstücke von Rosh Mathani
Dante Alighieri

Dante Alighieri

“Mein Lieblingsdichter und die Inspiration hinter allen Alighieri-Schmuckstücken.“

Fleetwood Mac

Fleetwood Mac

„Stevie Nicks Songtexte sind magisch und finden ebenfalls häufig ihren Weg in meine Arbeiten.“

Meine alte Pentax-Kamera

Meine alte Pentax-Kamera

„Bilder zu machen und die Welt durch eine Linse zu erkunden, ist wundervoll.“

Barbara Hepworth

Barbara Hepworth

„Ihre abstrakten Skulpturen haben eine besondere Wirkung.“

Marina Abramović

Marina Abramović

„Ich bewundere all ihre Arbeiten, aber mag vor allem die Performance 'The Artist is Present' – besonders als sich Ulay zu ihr setzt.“

Dante Alighieri
Fleetwood Mac
Meine alte Pentax-Kamera
Barbara Hepworth
Marina Abramović

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Text: Matea Prgomet
Foto: Alamy Stock Foto